Kimiâ sitzt im Wartebereich eines Pariser Krankenhauses mit Kinderwunsch-Abteilung und wartet auf ihren Termin. Alleine ...
"Mit den Augen hört man besser als mit den Ohren. Die Ohren sind hohle Brunnen, gut für Geschwätz. Hast du etwas zu sagen, dann schreib es auf", sagte einmal ihr Vater.
Also erzählt sie ihre Geschichte und warnt mich direkt, dass das keine lineare Erzählung wird, und erklärt mir, um die Gegenwart schildern zu können, müsse sie weit in die Vergangenheit zurückgehen. Sie warnt mich, dass sie ihren Erinnerungen selbst nicht so ganz traut.
Sie stammt aus einer privilegierten und modernen iranischen Grossfamilie. Ihr Vater, Darius Sadr, der sich lediglich für politische Ereignisse und philosophische Fragestellungen interessierte, musste 1981 wegen der Islamischen Revolution ins Exil nach Paris fliehen.
Kimiâs Flucht mit ihrer Mutter und ihren Schwestern bringt alle kurze Zeit später in Paris wieder zusammen. Kimiâ ist zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt und fühlt sich unwohl in diesem fremden Land mit einer ihr fremden Sprache. Die fünfköpfige Familie lebt ständig in Angst, fällt auseinander, und sie, die Jüngste, reagiert mit einer wilden Adoleszenzphase darauf, bis sie später einigermassen zur Ruhe kommt. Einmal beschreibt sie sich (und damit auch uns alle) im Buch als das merkwürdige Resultat äusserer Umstände, von Schicksalsschlägen, Erbschaften, Pechsträhnen und Dramen.
Die beiden Erzählstränge, über den Iran der Ahnen und ihr Frankreich von früher und heute sind grossartig miteinander verwoben. Der wunderbare Roman von 2017 fand bis heute viel zu wenig Beachtung im deutschsprachigen Raum. Vielen Dank an die Kundin für den Tipp!
Susanne Bühler