Rechts- und demokratietheoretische Überlegungen im Anschluß an Kant
Der Versuch, eine »Aufklärung« gegenwärtiger Demokratietheorie zu betreiben, stößt auf die Schwierigkeit, daß die konsequentesten Demokratietheorien des 18. Jahrhunderts, wie zum Beispiel diejenige Kants (oder auch Rousseaus), aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts gar nicht mehr als demokratische identifiziert, sondern eher als aufgeklärt absolutistisch (oder sogar »totalitär«) verdächtigt werden. Daß aber auf diese Weise die Kritik moderner totalitärer Systeme, wie sie innerhalb der liberal-demokratischen Residuen dieses Jahrhunderts vorgetragen wurde, selbst Involutionen gegenüber ihren eigenen Voraussetzungen anzeigt, zwingt zu einer Rekonstruktion ihrer Maßstäbe.
Es ist eine zentrale These dieses Buches, daß aufgrund dieser Konstellation die Demokratietheorien des 18. Jahrhunderts in der Rezeption des 20. Jahrhunderts systematischen Verzerrungen und Fehldeutungen unterliegen, an denen die Defizite gegenwärtiger Demokratietheorie zu erkennen sind. Letztere sind zugleich an faktische Rückbildungen demokratischer Praxis in hochkomplexen Gesellschaften angeschlossen: Die Vernetzung der Staatsapparate mit dezentralen Subpolitiken hat längst zu einer Verselbstständigung systematischer Entscheidungsprozesse gegenüber der gesellschaftlichen Basis geführt, welcher nur noch die Möglichkeit nachträglicher punktueller Reaktionen verbleibt. Lassen sich letztere unter dem Titel »Widerstandsrecht« adäquat beschreiben, so intendierte dagegen das aufklärerische Prinzip der »Volkssouveränität« die demokratische Steuerung des gesamten Entscheidungsprozesses. Am Beispiel der politischen Theorie Kants wird demonstriert, daß die genuin demokratischen Intentionen der Aufklärungsphilosophie gegenwärtig deshalb verfehlt werden, weil an sie der Maßstab jener politischen Beteiligung angelegt wird, die heute noch möglich erscheint.