Erzählungen | Berührende und scharfsinnige Porträts von Insassen einer psychiatrischen Anstalt - aus erster Hand
Roger Van de Velde wurde 1925 im belgischen Boon geboren. Er starb im Mai 1970 auf der Terrasse eines Cafés in Antwerpen an einer Überdosis Palfium, einem opioidähnlichen starken Schmerzmittel. Gewöhnlich nahm er viel höhere Dosen davon ein als diejenige, die an diesem Tag in seinem Körper festgestellt wird. Er starb in dem Moment, als er auf dem Weg dazu ist, Hilfe anzunehmen und auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Roger Van de Velde war Journalist und Autor und schmerzmittelabhängig. Aufgrund dieser Sucht wurde er vermehrt in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. In dieser wurde in den 1960er Jahre kein Unterschied gemacht zwischen psychisch Kranken und Schwerkriminellen; wie dies auch bei uns lange nicht der Fall gewesen ist. Wegen des strengen Kontrollregimes schmuggelte Van de Veldes Frau seine Kurzgeschichten, die in der Anstalt entstanden, in Zigarettenschachteln heraus. Der Autor schrieb sie auf herumliegende Broschüren. Sie wurden 1969 veröffentlicht und kurz vor seinem Tod erhielt er dafür den renommierten Arche-Preis des Freien Wortes zugesprochen.
Van der Velde gibt uns einen sehr respektvollen Einblick in die Leben seiner Mitpatienten, in das Leben auf Station und in diese Knastatmosphäre. Dieser würdevolle Blick kontrastiert mit den entwürdigenden räumlichen und organisatorischen Gegebenheiten. Die heutige Psychiatrie ist strukturell weit entfernt von den damaligen Verhältnissen; aber diesen sorgfältigen, nahbaren und humanen Blick auf den Menschen als Ganzes hat sie leider wieder eingebüsst.
Priska Friedli