Ebneter, Curdin (Hrsg.): Erinnerungen an Rainer Maria Rilke
En face - Texte von Augenzeugen, 3 Ex.
Der Sohn eines Eisenbahnbeamten, der wie Onkel und Mutter eine Schwäche für den Adel hatte. Der Ehemann, den es aus dem norddeutschen Moor nach Paris zog. Der Kriegsgegner, dessen Cornet in den Schützengräben beider Seiten gelesen wurde. Der heimatlos Umherziehende, der manchmal in Schlössern zu Gast war. Ein Liebling der Frauen, der auf mönchische Zurückgezogenheit hielt. Der Turmbewohner im Wallis, der zwei der berühmtesten Gedichtzyklen der Weltliteratur schuf. Doch was weiß man wirklich über den Menschen Rainer Maria Rilke?
Kaum ein anderer Autor scheint besser geeignet, en face porträtiert zu werden als Rilke - schon sein Äußeres wirkte auf viele Zeitgenossen faszinierend: seine eisblauen Augen, sein Seehundschnauzbart und seine sensiblen Hände. Rätselhaft erschien sein bindungsloses Leben zwischen Prag, Berlin, München, Worpswede, Wien, Venedig, Rom und Duino. Vor allem aber übte seine Dichtung eine magische Anziehungskraft aus - eine Wirkung, die bis heute nicht nachgelassen hat. Verfestigt hat sich dabei das Bild eines großen Dichters, dessen Aura ihn von aller Lebensnähe entrückt. Folgerichtig erschienen die Ausgaben seiner Briefe meist ohne die Antworten seiner KorrespondentInnen; die Erinnerungen von Literaten, Freunden, Verehrerinnen und Zufalls besuchern wurden, wenn überhaupt, nur an ephemeren Orten publiziert. Kaum rezipiert sind schließlich die aufschlußreichen fremdsprachigen Rilke-Erinnerungen aus Skandinavien, Rußland, Frankreich und Italien.
Mit dem 4. Band der Reihe En Face liegt erstmals eine umfassende Sammlung von Berichten vor, die Rilke aus der Perspektive seiner Zeitgenossen zeigen; darunter sind prominente Namen wie Stefan Zweig, Thomas Mann, Jean Cocteau oder Boris Pasternak, aber auch Stimmen von nebenan. Dokumentiert sind despektierliche Militäranekdoten von Theodor Csokor und Pikanterien von Claire Goll neben Berichten über glückliche Tage in der Schweiz oder von Begegnungen mit dem wahlverwandten Paul Valéry. Rund 900 Zeugnisse und zahlreiche unbekannte Fotos machen einen der größten deutschsprachigen Lyriker ganz neu zugänglich.