Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert
Laut einer gängigen Erzählung werden nationalstaatliche Grenzen in der Globalisierung immer poröser. Grenzüberschreitende Mobilität werde so zu einer universellen Erfahrung - von der Rückkehr nationalistischer Politik allenfalls temporär unterbrochen. Steffen Mau zeigt, dass diese Sichtweise trügt: Grenzen wurden in der Globalisierung von Anbeginn nicht offener gestaltet, sondern zu machtvollen Sortiermaschinen umgebaut. Heute erfüllen sie ihre Trennungsfunktion besser und effektiver denn je.
Während der grenzüberschreitende Personenverkehr in den letzten Jahrzehnten stetig zunahm, fand gleichzeitig eine in Wissenschaft und Öffentlichkeit unterschätzte Gegenentwicklung statt: vielerorts ist es zu einer neuen Fortifizierung gekommen, zum Bau neuer abschreckender Mauern und militarisierter Grenzübergänge. Grenzen wurden zudem immer selektiver und - unterstützt durch die Digitalisierung - zu Smart Borders aufgerüstet, und die Grenzkontrolle hat sich räumlich massiv ausgedehnt, ja ist zu einer globalen Unternehmung geworden, die sich vom Territorium ablöst. Der Soziologe Steffen Mau analysiert, wie die neuen Sortiermaschinen Mobilität und Immobilität zugleich schaffen: für erwünschte Reisende sollen sich Grenzen wie Kaufhaustüren öffnen, für andere sollen sie fester denn je verschlossen bleiben. Während ein kleiner Kreis Privilegierter heute nahezu überallhin reisen darf, bleibt die große Mehrheit der Weltbevölkerung weiterhin systematisch außen vor. Nirgends tritt das Janusgesicht der Globalisierung deutlicher zutage als an den Grenzen des 21. Jahrhunderts.