Roman | »Eine zarte, zerbrechliche Familiengeschichte.« Christine Westermann
«Bald würden die Eltern von den letzten unbeschwerten Tagen sprechen, denn tragischerweise erkennt man Sorglosigkeit immer erst, wenn sie vorbei ist.»
Als ein Brüderchen in einem Bergdorf in den Cevennen zur Welt kommt, herrscht zu Beginn Feierlaune. Doch diese ist nicht von langer Dauer. Denn das Brüderchen ist anders als sein grosser Bruder und seine grosse Schwester. Er kann nicht sehen und wird weder sprechen noch laufen können. Nur seine tiefschwarzen Augen tanzen umher, ohne den Blick auf etwas gezielt zu halten.
Es ist schwierig zu beschreiben und nachzuvollziehen, was es für Eltern bedeutet, ein besonderes Kind zu haben. Diese Geschichte, die aus der Perspektive der Mauersteine im Hof erzählt wird, legt den Fokus aber nicht auf die Eltern, sondern berichtet, wie die beiden älteren Geschwister dieser Familie mit dieser Besonderheit zurechtkommen und mit ihr leben müssen. Beide entwickeln mit der Zeit eine komplett unterschiedliche Beziehung zum Brüderchen. Während das Herz des älteren Bruders weich wird und er sich in der Fürsorge und Liebe zum Brüderchen verliert, versucht die Schwester so gut wie möglich, dem Kind aus dem Weg zu gehen. Für sie ist es ein Störenfried, der ihr den grossen Bruder wegnimmt und die Familie zerstört.
Die Geschichte erzählt von einer tiefen Geschwisterliebe, von intensiver Zuneigung, aber auch starker Ablehnung, von körperlichem Entzug, Wut und schlechtem Gewissen. Mit all diesen Emotionen ist Clara Dupont-Monod ein aussergewöhnliches Buch gelungen, welches unter die Haut geht und die Leser:innen berührt zurücklässt.
Deborah Keller
