«In den beiden Korbstühlen am Hoteleingang sassen Jastrau und der ewige Kjær und betrachteten das Leben, wie es vorüberglitt. Die Menschen hatten es so seltsam eilig.» (S.620)
Tom Kristensen (1893 – 1974) schrieb diesen an sein eigenes Leben angelehnte Monumentalroman um 1930; heute ist er in Dänemark ein moderner Klassiker.
Die Hauptfigur Ole Jastrau, Lyriker und Literaturkritiker der liberalen Tageszeitung Kopenhagens mit spiessbürgerlicher Existenz strudelt unaufhaltsam abwärts. Die ‘roaring twenties’ sind zu Ende, der Dauerparty weicht Ernüchterung und die düsteren Vorboten eines Umsturzes bringen sich in Stellung. Der Nihilismus ist nicht aufzuhalten und der Protagonist beklagt die geistige Verarmung von Kunst und Kultur. Salopp konstatiert er in krasser Art «wie langweilig das Leben doch ist, wir brauchen einen neuen Weltkrieg.» Jastrau gibt sich vorsätzlich dem Strudel hin, verliert nach und nach alles, aber bleibt in seinen kumpelhaften Beziehungen gehalten. Das besoffene Glück und das unvermeidliche erste Glas kehren mal schneller, mal verzögerter wieder; der Kater danach präsentiert sich einerseits luzide, andererseits zerstörerisch.
Obwohl der Roman vor knapp hundert Jahren geschrieben wurde, geht ihm jegliches altertümliche Flair ab: seine Sprache ist modern (auch dank der Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg) und die Handlung folgt heutiger Serienlogik: Man kann nicht aufhören, der Sog der Kapitel zieht einen bis zum Schluss.
Eine Lektüre, die mir Abhängigkeit auch körperlich spürbar machte, weil der Autor durch die Erzählweise so gut zeigt, wie das Verlangen einsetzt.
Priska Friedli