Wenn es nicht mehr so weitergehen kann, wie frau/man es sich gewohnt ist, lohnt es, sich dem Blues hinzugeben, dieser melancholischen, etwas niedergedrückten und gleichzeitig innerlich bildreichen und zukunftsöffnenden Stimmung. Der Blues ist nicht von ungefähr die Musik der Krise, der Wandlung (vom griechischen krisis für Entscheidung, Wendepunkt).
Das wunderbar blaue, blue-sige neue Buch der britischen Schriftstellerin Deborah Lévy erzählt die Geschichte von Ann, welche schon in jungen Jahren einen neuen Namen erhält. Sie ist nun Elsa M. Anderson. Entdeckt von Arthur Goldstein und zur gefeierten Konzertpianistin ausgebildet. Nun ist sie Mittdreissigerin und steht an einer Wende ihres Lebens: Das grosse Rachmaninoff-Konzert wird zum Desaster, ihre Finger gehorchen ihr nicht mehr, sie stürmt von der Bühne. Eine Woche vor dem Konzert hatte sie sich in einer stundenlangen Prozedur ihre Haare zuerst bleichen und dann blau färben lassen. Naturblau ist sie nun. Das sei doch nicht sie, meint Arthur.
Nach dem Desaster reist Elsa durch Europa, mit ihren blauen Haaren, gibt reichen Zöglingen Klavierstunden, unterhält sich mit ihnen übers Leben und enttäuscht die Erwartungen der zahlenden Eltern. Immer dabei ist die Frau, die an einem Marktstand in Athen die beiden Pferde kaufte, Spielzeugpferde, die auch Elsa gerne gehabt hätte. Anstelle der Pferde findet Elsa den Hut der Frau und setzt ihn sich auf während dieser entscheidenden Monate. Die Frau begleitet sie immer wieder, bereichert ihre Träume und ihre Gespräche.
Das Buch entfaltet einen unaufhaltbaren und zarten Sog. Es braucht Mut und Geduld beim Lesen, um sich dem Blau des Lebens hinzugeben, aber «wir sollten nie die Kraft des Menschen unterschätzen».
Priska Friedli
