In "Die Unschärfe der Welt" verknüpft die Autorin Iris Wolff sieben Geschichten zu einem Roman, sieben unterschiedliche Lebenswege von ganz unterschiedlichen Figuren, die sich trotz Schicksalsschlägen und räumlicher Distanzen aufeinander zu bewegen. Erzählt wird von vier Generationen aus Rumänien und Deutschland: die Erste lebte im Königreich Rumänien, die Zweite in der Ceausescu-Diktatur, die Dritte flieht nach Deutschland, die Vierte wird dort geboren. Es geht um Schicksale, die geprägt sind von politischen Umwälzungen, persönlichen Tragödien und Verfehlungen, es geht aber auch um Zivilcourage, Eigenwille, Lebenshunger und nicht zuletzt um die Verbundenheit zum Banat, der letzten Ecke der Welt.
Iris Wolff entführte mich mit ihrer Sprache und Poesie von Rumänien an die Ostsee, von den Gerüchen und den Winden des Banat an das dunkle Meer. Das dünne Buch enthält eine Fülle von Bildern, Eindrücken und Erzählsträngen, die mir fast meditativ erscheinen. Sie hat mich verzaubert mit unglaublich schönen Sätzen wie diesen:
„Florentine erlaubte sich selten Schlussfolgerungen, die über das hinausgingen, was sie selbst betraf. Andere hatten Meinungen, sie verfügte nur über die Summe vieler, oftmals widersprüchlicher Erfahrungen. Ob man, trotz aller Einsichten, klüger wurde, klug genug, um andere zu beurteilen, war zu bezweifeln. Etwas veränderte sich nicht, schien von Anfang an da zu sein, und Samuel, der sich zwischen den Schafen verlor, erinnert sie jeden Tag daran.“
Um das Leben von Samuel, erzählt von sieben Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln und Zeiten, geht es in „Die Unschärfe der Welt“ – und um viel mehr. Mein Lieblingsbuch des Jahres 2020!
Monika Steiner